Medienvielfalt und Meinungsfreiheit

Jean-Daniel Strub

Das Echo war gross und reichte weit über Zürich hinaus, als die Zeitungshaus AG von alt Bundesrat Christoph Blocher im März 2018 das «Tagblatt der Stadt Zürich» kaufte. Und die Befürchtungen folgten auf dem Fuss: Was, wenn nicht eine politische Absicht, könnte hinter der Übernahme dieser Zeitung stehen, die wöchentlich gratis an alle Haushalte der Stadt Zürich geht?

Dass die Besitzverhältnisse auch den politischen Kurs einer Zeitung prägen, ist normal. Eine Berichterstattung ohne politische Schlagseite ist beim «Tagblatt» aber deshalb besonders wichtig, weil dieses gemäss einem Vertrag mit der Stadt Zürich auch offizielles Publikationsorgan ist und den Titel «Amtsblatt» tragen darf. Das verleiht dem Wochenblatt Autorität und einen offiziellen Charakter. Entsprechend ist im Vertrag explizit festgehalten, dass das «Tagblatt» ausgewogen und sachlich berichtet.

Genau hinschauen

Am letzten Mittwoch diskutierte der Gemeinderat ein Postulat, in dem ich den Stadtrat gemeinsam mit Andreas Kirstein (AL) aufforderte, beim «Tagblatt» – zum Beispiel in der dafür zuständigen Kommission – künftig besonders genau hinzuschauen und die Zusammenarbeit auch tatsächlich zu kündigen, wenn dieses gegen die vertraglich vereinbarte Ausgewogenheit verstösst. Der Rat überwies das Postulat und unterstrich damit die Bedeutung, die er der unvoreingenommenen Information der Bevölkerung durch jene Zeitung, die sich «Amtsblatt» nennen darf, beimisst. Die lange Diskussion zum Postulat zeigte, wie breit die Sorge um die laufende Medienkonzentration und den damit einhergehenden Verlust an Medienvielfalt im Rat geteilt wird. Aus den Reihen der SVP jedoch klang es ganz anders: Sie unterstellte uns, wir würden nur deshalb zur besonderen Wachsamkeit gegenüber der politischen Ausrichtung des «Tagblatts» aufrufen, weil wir Mühe mit der Meinungsfreiheit hätten.
Wie unzutreffend ihre Unterstellung ist, belegt die SVP jedoch gleich selbst: So hielt während der Debatte einer ihrer Redner ein absichtlich provozierendes Votum, mit dem er zwar Widerrede auslöste, das er aber ungehindert – eben frei in der Äusserung seiner Meinung – halten konnte. Entgegen seiner Ankündigung: keine Spur von Einschränkung! Gleiches gilt für den inzwischen schweizweit beachteten Politstunt von Susanne Brunner, die in einer Interpellation wissentlich und absichtlich die vom Gemeinderat erlassenen Regeln für eine geschlechtergerechte Sprache verletzte, weshalb ihr Vorstoss vom Ratsbüro völlig zu Recht zurückgewiesen wurde. Diese Woche musste sich nun der Gesamtrat mit dem Thema befassen – obschon eine lange Reihe wichtiger Geschäfte für unsere Stadt auf der Traktandenliste steht.

Natürlich ist es der SVP unbenommen, sich einer geschlechtergerechten Sprache zu verschliessen. Fortschrittlich ist es nicht. Es ist aber ganz und gar unhaltbar, zu behaupten, die Zurückweisung des Vorstosses verletze die Meinungsfreiheit – denn niemand hat Brunner je daran gehindert, ihre Fragen zu formulieren und ihre Meinung so völlig frei in die Öffentlichkeit zu tragen. Sie ist lediglich gebeten, dafür eine gewisse, eigentlich selbstverständliche, Form zu wahren. Es ist unbestritten: Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut und wir stehen in der Pflicht, sie zu schützen. Genau das heisst aber auch, anderen nicht leichtfertig zu unterstellen, sie einschränken zu wollen.

Dieser Artikel erschien in „Lokalinfo Züriberg“, Ausgabe vom 29. August 2019.

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